Wenn es um Reasoning – also echtes problemlösendes Denken – geht, liefern sich aktuell zwei KI-Schwergewichte ein Kopf-an-Kopf-Rennen: Gemini 2.5 Pro von Google und Claude Sonnet 3.5/3.7 von Anthropic. Beide beanspruchen, die klügsten KI-Modelle ihrer Art zu sein. Doch welcher „Denkmaschine“ gelingt das bessere Schlussfolgern?
Architektur und Ansatz: Denken Schritt für Schritt
Gemini 2.5 Pro (Experimental) wurde Ende März von Google DeepMind vorgestellt. Google nennt es einen „Thinking Model“, das gezielt darauf ausgelegt ist, komplexe Probleme Schritt für Schritt anzugehen. Technisch bedeutet das: Gemini 2.5 kombiniert ein stark verbessertes Grundmodell mit einer speziellen Nach-Trainingsprozedur, wohl ähnlich einer verstärkten Chain-of-Thought-Feinjustierung. Es debütierte gleich als Nummer 1 auf LM Arena, einer Plattform für menschliche Präferenztests, mit deutlichem Vorsprung vor bisherigen Spitzenreitern. Außerdem führt es diverse Mathe- und Wissenschafts-Benchmarks an. Kurzum, Google hat alles daran gesetzt, Gemini 2.5 als Reasoning-Champion zu positionieren.
Anthropics Claude Sonnet-Reihe hingegen baut auf der bekannten Claude-Architektur auf, die schon in Version 2 für ihre Konsistenz gelobt wurde. Claude 3.5 Sonnet erschien Mitte 2024 und überraschte damit, GPT-4o und Gemini 1.5 in vielen Benchmarks zu schlagen. Sonnet ist Anthropic-typisch mit Constitutional AI verfeinert, was heißt: Es befolgt interne „Verfassungs“-Regeln, um ethisch und logisch zu bleiben. Die neueste Iteration Claude 3.7 Sonnet kam Anfang 2025 heraus und brachte weitere Verbesserungen. Insbesondere wurde an der Geschwindigkeit und am kontextuellen Verständnis gearbeitet. Sonnet 3.7 nutzt, wie der Name andeutet, eine erweiterte „Sonett“-Länge im Denken – es kann also längere Gedankengänge intern entwickeln, bevor es antwortet.
Benchmarks: Wer liegt vorn?
Offizielle Benchmarks zeichnen ein zunächst klares Bild: Gemini 2.5 Pro übertrifft Claude 3.7 Sonnet in vielen Kategorien. Google vermeldet, Gemini führe bei typischen Reasoning-Tests wie dem neuen Humanity’s Last Exam (einem extrem schwierigen Wissens- und Logiktest) mit 18,8 % als bestes Modell ohne Tool-Einsatz. Auch bei Mathe-Wettbewerben (AIME 2025) und Coding-Benchmarks steht Gemini 2.5 ganz oben. Ein von Google veröffentlichter Vergleich zeigte Gemini 2.5 Pro vs. GPT-4.5 und Claude 3.7 Sonnet in Kategorien Reasoning, Science, Math, wo Gemini jeweils hervorragend abschnitt. EdenAI, ein unabhängiger Anbieter, bestätigte diese Tendenz: Gemini schlägt Claude 3.7 in vielen Benchmarks deutlich, z.B. mit über 30 % Abstand bei mathematischen Aufgaben (AIME).
Anthropic betont jedoch, dass Benchmarks nicht alles sind. Claude 3.7 wurde speziell mit Blick auf Praxisnähe trainiert. So ist bekannt, dass Claude sehr lange Kontextfenster (über 100k Tokens) verkraftet und dabei fokussiert bleibt – ein Bereich, in dem Gemini 2.5 (aktuell ~32k) noch nicht mithält. Außerdem galt Claude schon immer als stark in Multi-Turn-Diskussionen und komplexen Planungsaufgaben. In einer Reddit-Diskussion berichtete ein Nutzer, er habe Gemini 2.5 und Claude 3.7 auf ein schweres Logikproblem angesetzt: „Der große Unterschied: Claude ist viel besser im Lösen von Problemen als Gemini. Gemini ist überragend im Kreieren (z.B. Text generieren), aber wenn es ums tiefe Nachdenken geht, hat Claude derzeit die Nase vorn – zumindest in meinen Tests.“.
Praxisvergleich: Mathe vs. Sprache
Ein Coding-Vergleich von Composio.dev kam zu einem differenzierten Ergebnis: Gemini 2.5 Pro scheint besser darin zu sein, Code von Grund auf neu zu schreiben, wohingegen Claude 3.7 existierenden Code refaktorieren oder verbessern besser meistert. Das legt nahe, dass Gemini’s Stärken in generativer Anwendung liegen, während Claude bei verständnisintensiven Aufgaben punktet. Ähnliches zeigt sich im Kundenservice-Bereich: Ein AI-Berater stellte fest, dass Claude’s Antworten bei Geschäftskommunikation präziser und höflicher seien, während Gemini manchmal zu technisch-abstrakt formuliert. Daraus leitet sich ein praxisnaher Tipp ab: Für hochkomplexe technische Problemlösungen Gemini nehmen; für feinfühlige, skaliert stabile Dialoge Claude bevorzugen.
Die Community war vom Duell jedenfalls elektrisiert. Viele fühlten sich an das alte „Intel vs. AMD“-Rennen erinnert, hier eben Google vs. Anthropic. Beide pushen sich gegenseitig zu Höchstleistungen. Bemerkenswert: OpenAI’s GPT-4 spielte in diesen Debatten nur noch eine Nebenrolle. Tatsächlich mehren sich Stimmen, dass GPT-4 (bzw. GPT-4.1) zwar nach wie vor stark ist, aber in puncto logischem Schlussfolgern etwas den Anschluss verloren hat – Ironie der Geschichte, da OpenAI lange als Goldstandard galt.
Zukunft: Hybrid oder klarer Sieger?
Wer wird langfristig führen? Möglich, dass wir eine Spezialisierung sehen: Google mit Gemini könnte weiterhin akademisch-logische Benchmarks dominieren, während Anthropic mit Claude die Alltagsvernunft und Zuverlässigkeit perfektioniert. Es gibt Hinweise, dass Claude 3.7 „Extended Thinking“-Modi hat, in denen es noch tiefer grübelt, aber langsamer wird – ideal für schwierige Fälle. Google wiederum integriert Gemini vermehrt in Produkte (Search, Android Assistant), was die Robustheit erhöhen dürfte. Ein Hybrid-Ansatz wäre aus Nutzersicht spannend: Beide Modelle zu einem Ensemble zu kombinieren, das sich je nach Aufgabe ergänzt (es gab sogar Open-Source-Experimente, wo GPT-4 und Claude gemeinsam an einer Aufgabe arbeiteten, mit verblüffenden Ergebnissen).
In jedem Fall treiben Gemini 2.5 und Claude Sonnet 3.7 das Feld voran. Für Anwender ist das eine gute Nachricht: Die KI-Systeme denken immer besser. Probleme, die vor einem Jahr noch unlösbar schienen (z.B. komplexe Rätsel, anspruchsvolle Planungsaufgaben), können heute oft von diesen Modellen geknackt werden – sei es durch streng analytisches Vorgehen wie bei Gemini oder durch menschenähnliche Intuition wie bei Claude. Der „Gehirnkampf“ der KI-Giganten beschleunigt unseren Weg zu immer intelligenteren, hilfreicheren Assistenten. Und wer weiß – vielleicht verschmelzen deren Ansätze irgendwann in einem Modell, das sowohl die Logik eines Rechners als auch die Weisheit eines erfahrenen Mentors in sich vereint.